Zur Rechtswidrigkeit der Rücknahmefiktion eines Widerspruchs gegen Entscheidungen der Zulassungsausschüsse bei nicht fristgerechter Zahlung der Widerspruchsgebühr
in: RöFo 12/2022, S. 1393-1395
Die Verfahrensvorschriften der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) haben für Vertragsärzte Vorrang vor den Bestimmungen des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X). Soweit allerdings in der Ärzte-ZV nichts geregelt ist, gelten die Bestimmungen des SGB X (§ 37 SGB I). Sonderregelungen bestehen in der Ärzte-ZV jedoch auch gegenüber dem Vorverfahren nach dem Sozialgerichtsgesetz (SGG). Das Widerspruchsverfahren vor dem Berufungsausschuss nach den §§ 44 und 45 Ärzte-ZV weist insofern Besonderheiten auf.
Das Verfahren vor dem Berufungsausschuss ist kein Widerspruchsverfahren gem. §§ 78, 83 ff. SGG, sondern ein besonderes Verwaltungsverfahren. Das ergibt sich zum einen daraus, dass im Gesetz nicht auf die das Widerspruchsverfahren betreffenden Regelungen der §§ 83 ff. SGG in toto verwiesen wird, sondern nur auf § 84 Abs. 1 SGG und dass § 85 Abs. 3 SGG für entsprechend anwendbar erklärt wird. Das Verfahren vor dem Berufungsausschuss gilt als „Vorverfahren“ (§ 97 Abs. 3 S. 1 und 2 SGB V). Eine Sonderregelung gegenüber den Vorschriften des SGG über das Widerspruchsverfahren bestand bis zum Inkrafttreten des VÄndG vom 22.12.2006 (BGBl. I. 3439) in § 44 Abs. 1 S. 1 Ärzte-ZV, wonach der Widerspruch binnen eines Monats mit Angabe von Gründen zu erheben war. Diese Pflicht zur Begründung des Widerspruchs als Zulässigkeitsvoraussetzung wurde durch das VÄndG mit Wirkung zum 01.01.2007 aufgehoben, da diese „in der täglichen Praxis – auch von Rechtsanwälten – häufig übersehen“ wurde und „dies erhebliche Folgen hatte, weil die fehlende Begründung zur Unzulässigkeit des Widerspruchs führte“ (vgl. Gesetzentwurf zum VÄndG vom 30.08.2006, BT-Drucks. 16/2474, S. 35).
Abweichend gegenüber dem SGB X und dem SGG sind in den §§ 38 und 44 Ärzte-ZV noch heute zwei Sonderregelungen enthalten, die Rechtsfolgen im Falle einer nicht rechtzeitigen Entrichtung der Verfahrensgebühren nach § 46 Ärzte-ZV vorsehen. Diese Vorschriften können in der Praxis ebenfalls mit erheblichen Folgen für die Verfahrensbeteiligten verbunden sein. In beiden Fällen wird die Rücknahme der jeweils zugrundeliegenden Handlung „fingiert“, wenn die Gebühr nicht rechtzeitig entrichtet wurde.
Zum einen wird nach § 38 S. 1 Ärzte-ZV über „gebührenpflichtige Anträge erst nach Entrichtung der nach § 46 zu zahlenden Gebühr verhandelt.“ Wird die Gebühr nach Anforderung nicht innerhalb der gesetzten Frist eingezahlt, so gilt der Antrag zudem als nach § 38 S. 2 Ärzte-ZV zurückgenommen, es sei denn, der Vorsitzende stundet die Gebühr. Die Zahlungsfrist und die Folgen ihrer Nichteinhaltung sind in der Anforderung zu vermerken. Hervorzuheben ist diese Folge für Zulassungsanträge, sonstige Anträge mit angestrebter Beschlussfassung durch den Zulassungsausschuss und Widersprüche nach § 46 Abs. 1 Ärzte-ZV. Das bedeutet, dass eine Zulassung oder Anstellungsgenehmigung grundsätzlich nicht erteilt werden darf, wenn die Gebühr von 100 bzw. 120 Euro nicht fristgerecht beglichen wurde und die Gebührenrechnung einen Hinweis auf diese Folge enthält. Dies kann je nach konkreter Konstellation dazu führen, dass ein Mitbewerber die begehrte Zulassung oder Genehmigung erhält, z.B. bei Ausschreibungsverfahren. Möglich ist auch, dass die Zulassung oder Genehmigung neu beantragt werden muss und aufgrund zwischenzeitlich geänderter Versorgungslage nicht mehr positiv beschieden wird. Beide Fälle führen im Ergebnis zum Verlust bzw. Nichterhalt eines Versorgungsauftrages.
Eine vergleichbare Regelung existiert für das Widerspruchsverfahren. Nach § 45 Abs. 1 S. 1 Ärzte-ZV gilt der Widerspruch als zurückgenommen, wenn die Gebühr nach § 46 Ärzte-ZV nicht innerhalb der gesetzten Frist entrichtet ist, sofern die Zahlungsfrist und die Folgen ihrer Nichteinhaltung in der Anforderung vermerkt sind. Neben der vorstehend beschriebenen allgemeinen Rücknahmefiktion für gebührenpflichtige Anträge nach § 38 S. 1 Ärzte-ZV besteht also eine gesonderte Rücknahmefiktion auch für Widersprüche nach § 45 Abs. 1 S. 1 Ärzte-ZV. Mit der Rechtmäßigkeit dieser Regelung hat sich das Bundessozialgericht (BSG) in einer kürzlich ergangenen Entscheidung befasst.